Wermut: Der bittere Tropfen für Leber und Verdauung

Wermutpflanze

Wermut | artemisia absinthium

Beim sprichwörtlichen Wermutstropfen handelt es sich um winzige unangenehme Tatsachen, die an sich schönen Situationen einen Hauch von Bitterkeit verleihen. Tatsächlich schmeckt Wermut mit einem sogenannten Bitterwert von 25.000 überall hervor: Nur ein Gramm des getrockneten Krauts braucht es, um immerhin 25 Liter Wasser spürbar zu „verbittern“. Doch genau darin liegt die Kraft der wärmeliebenden Pflanze.

Sie wächst – in Deutschland leider nur selten wild – als stark verästelte, komplett grünsilbrig behaarte Staude bis zu eineinhalb Meter hoch auf trockenen Kiesbetten und Feldern, an Wegen und Zäunen. Ihre gefiederten Blätter erinnern sehr an den nahen (und weitaus häufigeren) Verwandten Beifuß, dessen Blätter jedoch nur unterseitig silbrig schimmern und oben dunkelgrün sind. Von Juni bis September erscheinen in Rispen kleine gelbe, kugelförmige Blütenkörbchen, die so manchem Pollenallergiker den Sommer vermiesen können. Das charakteristisch herbsüße, von reichlich ätherischen Ölen herrührende Aroma der Pflanze trägt mindestens ebenso zum unverwechselbaren Duft des warmen Mittelmeerraums bei wie Immortelle, Thymian und Cistus.

Hauptsächlich kennt man es jedoch aus dem milchig-grünen Künstler-Kultschnaps des beginnenden 20. Jahrhunderts: Absinth. Die „grüne Fee“, wie Fans das hochalkoholische Destillat aus Wermut, Anis, Fenchel und Zitronenmelisse liebevoll nannten, war allerdings alles andere als ein harmloses Partygetränk. Durch den hohen Gehalt an β-Thujon vernebelte es zwar zunächst angenehm die Sinne bis hin zu Halluzinationen, führte danach aber zu kapitalen Katern, Schwindel und Delirien. Bei häufigem Genuss drohte ein Syndrom aus geistigem und körperlichem Verfall, Absinthismus genannt. In Deutschland wurde Absinth deshalb 1923 verboten. Seit 1998 ist seine Herstellung unter strengen Thujon-Grenzwerten wieder legal. In der Schweiz werden teilweise noch immer gefährliche Absinthsorten illegal gebrannt – wer dabei erwischt wird, muss mit hohen Geldstrafen rechnen und hat’s verdient.

Greifen Sie lieber zu einer Tasse Wermut-Tee, mit der Sie sich definitiv etwas Gutes tun! Das wussten bereits die alten Ägypter und verewigten den Wermut 1600 v.Chr. als wichtige Heilpflanze im berühmten Papyrus Ebers. Auch nachfolgende Generationen von Ärzten und Heilkundigen vertrauten ihr bei zahlreichen Beschwerden. So lobte etwa der Abt, Dichter und Botaniker Wahlafrid Strabo 827 n.Chr. in seinem Gartengedicht Hortulus den Wermut als Mittel gegen Fieber, Kopfschmerzen und Schwindel. Eine wahre Lobeshymne verfasste z.B. der deutsche Arzt und Botaniker Hieronymus Bock um das Jahr 1540 herum:

Der Weronmut ist ein bewert und berühmt gewächs. Beynahe zu allen presten des inwendigen undeußerlichen leibs, […] bekompt wol dem magen, erwärmet den Leib, stillet schmerzen, treibet auß allerhand gifft und gallen, macht lust zu essen, das wissen die vollen brüder. Benimmt das grimmen und bauchwehe, treibet aus die würm, zertheylet und füret auß die gälsucht, der frauen blödigkeit, weycht und eröffnet die verschlossene verstopfte beuch […] stillet das hauptweh, machet trübe dunkele augen klar un hell, desgleichen die schmerzlichen ohren. Zeitigt wol das halsgeschwär, benimpt das zahnwehe, stillet den ohrenschmerzen. Wer will seine tugend alle erzölen?“

Neben Tee war über Jahrhunderte die beliebteste Darreichungsform ein mit Honig versetzter Wermutwein. Hildegard von Bingen beschrieb diesen Maitrunk als stimmungsaufhellend, magenwärmend, verdauungsfördernd und stärkend für Herz und Lunge. Der Honig im Wein machte die heftige Bitterkeit erträglich.

Hier würde die moderne Heilpflanzenkunde allerdings ein Veto erheben, denn mittlerweile hat sich die Meinung durchgesetzt, dass man Wermutzubereitungen nicht süßen soll, weil sie so besser wirken. Stattdessen übergießt man z.B. nur ½ Teelöffel des Krauts mit einer großen Tasse Wasser, seiht den Tee nach nur einer Minute Ziehzeit ab und trinkt ihn, etwa zur Förderung der Verdauung von fettreichen Speisen, lauwarm eine halbe Stunde vor (!) der Mahlzeit. Dasselbe gilt bei anhaltender Appetitlosigkeit.

Grüne Kapsel mit BlattAngezeigt ist Wermut durch seine gallenflussfördernden Eigenschaften – ob als Tee, Kapseln oder Frischpflanzensaft – vor allem bei sogenannten dyspeptischen Beschwerden, die durch mangelnde Sekretion von Verdauungssäften entstehen. Dazu zählt der schwache, auch „erkältete“ Magen, Völlegefühl, Sodbrennen, Oberbauchbeschwerden und Blähungen nach den Mahlzeiten sowie krampfartige Darmstörungen. Pfarrer Kneipp empfahl seinen Patienten bei Unpässlichkeiten dieser Art, sie mögen ein- oder zweimal täglich eine Prise Wermutpulver auf den ersten Löffel Suppe oder wie Pfeffer auf die Speise streuen – eine ebenso einfache wie gute Idee! Der zu erwartende Effekt? „Der Kranke, dem die verfangene faule Luft und die oft noch fauleren Säfte – wahre Düngerstätten des Magens! – den Atem zuschnüren, wird wieder freier aufschnaufen.“

Magenschleimhautentzündung (Gastritis), die mit verringerter Magensäuresekretion einhergeht, spricht oft ebenfalls gut auf kleine Mengen Wermuttee oder -saft an. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Regeneration nach langwieriger Krankheit mit Schwächezuständen„Ist einer grün wie ein Laubfrosch, mager wie eine Pappel, nimmt täglich ab an Gewicht und Humor und wirft keinen Schatten mehr, der probiere es mit einem Teelöffel voll Wermut alle zwei Stunden!“, schlägt der bekannte Kräuterpfarrer Künzle vor.

Unbedingt hervorzuheben sind die heilenden Talente der Pflanze bei entzündlichen und nichtentzündlichen Erkrankungen der Gallenwege; sogar kleine Gallensteine kann man manchmal mit einer Wermut-Trinkkur und fettfreier Diät zum Abgehen überreden. Speziell nach Entfernung der Gallenblase (die ja „nur“ ein Zwischenspeicher für fettverdauenden Gallensaft ist) ist ein Tässchen Wermut-Tee nach (!) dem Essen ein wohltuender Motivationsschub für die Verdauung.

Ausbleibende oder zu schwache Menstruation kann auf ähnliche Art „herausgekitzelt“ werden, genau wie mit Beifuß.

Und warum nicht einmal ein altes Rezept der Volksheilkunde gegen Kopfschmerzen und Bauchkrämpfe ausprobieren? Es sieht feuchte Umschläge mit starkem Wermut-Sud auf Kopf bzw. Rumpf vor.

ACHTUNG:
Keinesfalls darf Wermut von Schwangeren eingenommen werden, da seine stark durchwärmende und kontraktionsfördernde Wirkung Wehen im Einzelfall Wehen auslösen kann. Auch bei bestehenden Magengeschwüren sowie während der Einnahme von Medikamenten, die die Krampfschwelle erniedrigen (z.B. trizyklische Antidepressiva), ist die Anwendung kontraindiziert.