Gerste: Das bescheidene Superfood

Gerste

Bei Gerste denken wir an wogende Felder*, einen erfrischenden Schluck Bier, vielleicht noch an die Graupensuppe auf der Skihütte. Aber Gerste als Medizin? Wirklich? Ja, wirklich. Gerste war als eines der ältesten kultivierten Getreide schon immer halb Nahrungsmittel, halb Medizin. Vom vorderen Orient, wo man sie schon vor 10.000 Jahren nutzte, gelangte sie in die ganze Welt. Im alten Rom bestand Brot noch fast ausschließlich aus Gerste und die Gladiatoren stärkten sich mit Gerstengerichten verschiedenster Art. Auch in Deutschland war Gerste bis Ende des 2. Weltkriegs ein Grundnahrungsmittel. Dass sie sich heute weitgehend in die Brauereien zurückgezogen hat, ist mehr als schade, denn so entgeht uns ihr ganzes Paket an gesundheitsfördernden Eigenschaften.

Botanisch gehört Gerste zu den Süßgräsern. Mit ihren langen Grannen – so heißen die langen Härchen entlang der Ähre – ist sie wohl der Inbegriff von Getreide. Lustig ist, dass die meisten Menschen sie chronisch mit Weizen verwechseln. Denn dieser ist hierzulande zwar das am häufigsten angebaute Getreide, trägt jedoch keine Grannen und lässt dadurch das „typischste“ Getreide-Merkmal vermissen. (Man könnte sich hier mit Angeberwissen auf uralte Kulturen hinausreden: Im Ägypten von Nofretete und Echnaton stand die Hieroglyphe für Gerste stellvertretend für alle Getreidesorten!)

Angebaut werden Spelz- und Nacktgerste, wobei Letztere für den menschlichen Verzehr besser geeignet ist: Weil man bei ihr auf die grobe maschinelle Entfernung der unverdaulichen Spelzen verzichten kann, bleiben wertvolle Inhaltsstoffe besser erhalten.

Gerstengraupen sind rund geschliffene Körner ohne den Keimling. Sie enthalten etwas weniger Nährwert als unbehandelte Gerste, dafür aber auch weniger Phytinsäure* – und sind damit eine schmackhafte, gesunde Alternative zu Reis oder Pasta. Milch„reis“ und „Risotto“ aus Gerstengraupen sind ein Gedicht!
Im Müsli oder – kurz gekocht – als Porridge-Alternative machen sich Vollkorn-Gerstenflocken gut. Für Frischkornbrei weicht man pro Portion ca. 2 EL geschrotete Gerste (also Gerstengrütze) über Nacht in 4 EL Wasser ein. Am nächsten Morgen nach Geschmack Jogurt, Quark oder Sahne zugeben, Obst der Saison hineinschnippeln, mit etwas Zitronensaft und Leinöl abschmecken … voilà: das vermutlich gesündeste und sattmachendste Frühstück der Welt.

Ernährungsphysiologisch tun Sie Ihrem Körper mit dem regelmäßigen Verzehr von Gerste viel Gutes, denn sie

  • wirkt cholesterinsenkend (bindet „böses“ LDL-Cholesterin, ohne das „gute“ HDL-Cholesterin zu senken)
  • ist ballaststoffreich (der Ballststoff Beta-Glutan soll sogar Herzerkrankungen und Krebs vorbeugen) und fördert damit eine gesunde Verdauung
  • reguliert den Blutzuckerspiegel (siehe auch >Zimt)
  • sättigt lange und unterdrückt Heißhungerattacken
  • besänftigt gereizte Schleimhäute
  • enthält mehr Magnesium als Banane

Ihre Rolle als Heilmittel verdankt die Gerste sehr alten Überlieferungen. So wird sie z.B. im Circa instans, einem der wichtigsten Gesamtwerke der Medizinschule von Salerno aus den Anfängen des 12. Jahrhunderts, als „kühlend und trocknend“ beschrieben. Entsprechend setzte man sie zur Besänftigung von Fieber und Auflösung von Eiterknoten der Atem- oder Verdauungswege ein. Die Patientin oder der Patient bekam einen lange gekochten Brei aus Gerstengrieß oder -mehl zu essen; dazu reichte man sogenannten Gerstengrütztrank. Äußerlich legte man Breipflaster aus Gerstenmehl und je nach Beschaffenheit weiteren Zutaten wie Essig, flüssigem Pech, Honig und Eigelb auf Geschwüre und Furunkel. Tatsächlich sind auch heute Breiauflagen aus Gerstenmehl, warmem Wasser und Essig einen Versuch wert, wenn ein Furunkel, Abszess oder Pickel zur Reifung gebracht werden soll.

Noch heute wird Gerstenwasser traditionell an Fiebernde, Magenkranke und generell Rekonvaleszente verabreicht.  Besser bekannt ist es unter seinem englischen Namen barley water, das es in England sogar im Supermarkt fertig zu kaufen gibt. Zur Herstellung werden 50–70 Gramm Bio-Nacktgerste oder -Graupen in 2 Litern Wasser einmal kurz aufgekocht und dann leise köchelnd 2 Stunden lang bei leicht geöffnetem Deckel auf ca. 1–1,5  Liter reduziert. Nach dem Abgießen und Abkühlen gibt man zur inneren Anwendung ein paar Löffel frisch gepressen Zitronen-, Orangen- oder Grapefruitsaft sowie etwas Honig oder Ahornsirup hinzu. Von diesem stärkenden, heilenden und obendrein köstlichen Getränk genießen Kinder und Erwachsene bei den o.g. Erkrankungen, Verdauungsstörungen jeder Art, Sodbrennen, Magenschleimhautentzündung oder allgemeiner Verschleimung täglich mehrere Gläser kalt oder erwärmt (dann ggf. mit einer Prise >Zimt); es hält sich im Kühlschrank ca. 3 Tage.

Tipp:

Ohne weitere Zusätze ist lauwarmes Gerstenwasser ein fabelhaftes Bad für raue, aufgesprungene Hände!

Grüne Kapsel mit BlattAls grünes Superfood gilt seit einigen Jahren Gerstengrassaft – zu Recht! Gerstengrassaft wird aus ganz jungen, noch grünen Gerstenpflänzchen gepresst und enthält nicht nur viele Mineralstoffe, Enzyme und Antioxidantien, sondern ist auch ein wahres Chlorophyll-Wunder. Der grüne Blattfarbstoff hat strukturell große Ähnlichkeit mit unseren roten Blutkörperchen und eignet sich deshalb ideal als Nahrungsergänzung bei Eisenmangel. (Außerdem wirkt Chlorophyll gut gegen Mundgeruch.) Den basischen, spinatartig schmeckenden Saft trinkt man pur, gemischt mit anderen Säften oder als Bestandteil grüner Smoothes. Er wirkt einer Übersäuerung des Organismus mit all ihren negativen Folgen entgegen, hilft bei der Ausleitung von Schwermetallen, unterstützt Leber und Bauchspeicheldrüse und ist insgesamt ein wertvoller Gesundheitsdrink.

Das herbsüße Gerstenmalz (im Reformhaus erhältlich) wird durch Gärung aus ungeschälter Gerste gewonnen und ist pur, als Brotaufstrich oder im Tee ein fabelhafter Energiespender. Geschwüre, Ekzeme und Ausschläge kann man mit einer Lösung aus 2 EL Malz in 1 Liter Wasser waschen oder betupfen.

Also von wegen „just another Körnchen“ – Gerste ist ein absolut unterschätztes heimisches Superfood!

*Phytinsäure tummelt sich in den Randschichten von Getreide und hat den schlechten Ruf, die Mineralstoffaufnahme im Körper zu hemmen. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass der anteilsmäßig höhere Mineralstoffgehalt von Vollkorn diesen Effekt mehr als wettmacht. Außerdem verringern Verfahren wie Keimen, langes Einweichen oder Teiggärung den Phytinsäuregehalt einer Speise, weil sie die Produktion des Enzyms Phytase anstupsen, das den mineralienbindenden Effekt quasi aufhebt. Daneben hat Phytinsäure (in Maßen) sogar gesundheitliche Vorteile: Sie hilft bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels, hält den Cholesterinspiegel in Schach und senkt vermutlich sogar das Risiko für Dickdarmkrebs. Weitere Infos erhalten Sie hier.