Engelwurz: Die mächtige Magenfee

Engelwurz

Engelwurz – angelica archangelica

Wer wie Angelica archangelica einen Erzengel im Namen trägt (lat. angelus = Engel), muss Großes im Sinn haben. Tatsächlich fällt einem beim Anblick der seltenen Arznei-Engelwurz in unserer heimischen Botanik vor allem ein Begriff ein: majestätisch. An die zweieinhalb Meter weit reckt die stolze Pflanze im Spätsommer ihre große, rundliche, grünlich weiße Doldenblüte in den Himmel – gerade als ob sie von dort Anweisungen empfangen würde. Die Legende erzählt es denn auch ungefähr so: In dunkler Zeit, als die Pest wütete, soll einem frommen Einsiedler im Traum der Erzengel Raphael erschienen sein, der ihm riet, mit der Pflanze gegen die Seuche ins Feld zu ziehen. Als dies von Erfolg gekrönt war, galt sie fortan als himmelsgesandtes Allheilmittel, wovon ihre vielfältigen Volksnamen wie Angst-, Zahn-, Cholera-, Gift-, Geil- oder Brustwurz zeugen. Zur Abwehr jeglicher Krankheit sowie gegen den bösen Blick und Zauberei trug man schlicht Stücke der Wurzel als Amulett um den Hals.

Am wohlsten fühlt sich die Angelika übrigens auf feuchten Wiesen, Flussufern, Berghängen und an Waldwegen der ganzen Nordhalbkugel. Eine besondere Vorliebe scheint sie dabei für Erlenwälder zu haben. In Skandinavien werden die rübenartige Wurzel sowie die teils armdicken, hohlen Stängel noch heute traditionell als Gemüse, Gewürz oder kandierte Süßigkeit verzehrt. In Island empfand man sie als so wichtige Heilpflanze, dass sie bei einem Umzug aus dem Garten ausgegraben und mitgenommen wurde, um am neuen Lebensort weiterzuwachsen. Ja, als so wertvoll galt sie, dass man gegen ihren Diebstahl Gesetze erließ und sie eine Zeitlang sogar als Zahlungsmittel gebrauchte! Obwohl sie also früher in jedem Garten zu finden war, ist die imposante Pflanze mittlerweile nur noch vereinzelt in der freien Natur zu finden. Weitaus häufiger ist ihre nahe Verwandte, die deutlich kleinere Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris), die aber nur einen Bruchteil der Heilwirkung besitzt. Verwechslungsgefahr besteht mit dem giftigen Schierling, dem Riesenbärenklau und dem Riesenfenchel. Greifen Sie deshalb bitte lieber auf Angelikawurzel-Präparate aus der Apotheke zurück.

Wegen ihrer guten Wirkung auf den Verdauungstrakt ist Engelwurz neben anderen Magenfreunden wie z.B. Kümmel oder Fenchel ein wichtiger Bestandteil bekannter Magen-Arzneien: Klassiker wie Melissengeist, Theriak, Maria Trebens Schwedenkräuter, der „Essig der vier Räuber“ oder der Chartreuselikör der Kartäusermönche beziehen ihre Kraft unter anderem aus ihr.

Was aber kann die große Engelhafte noch für uns Menschen tun?

Grüne Kapsel mit BlattZunächst wirkt sie durch eine Vielzahl antimikrobieller Inhaltsstoffe (z.B. Flavonoide und ätherischer Öle) stark durchwärmend und keimtötend, was den Erregern von Atemwegsinfekten, fäulnisbedingten Blähungen oder infektiösem Durchfall den Garaus macht. Verschiedene Cumarine entspannen u.a. die Muskulatur des Magen-Darm-Trakts, der Galle und der Bronchien, was sich krampflösend auswirkt. Der hohe Anteil an Bitterstoffen wiederum regt die Ausschüttung von Gallen- und Magensäure sowie Bauchspeicheldrüsenenzymen an. Dadurch werden Speisen besser verdaut, ein träger Darm auf Trab gebracht und der Appetit angeregt. Verspätete oder stockende Regelblutungen bringt man ebenfalls durch innerlich wie äußerlich verwendete Engelwurz-Präparate auf den Weg.

Ein sehr beliebtes Mittel ist der Engelwurz-Balsam, den man nicht nur erkälteten Babys und Kleinkindern auf die Nasenflügel streicht, um ihnen das Atmen bei Schnupfen zu erleichtern.

Die Volksmedizin empfiehlt entsprechende Bäder und Salben auch bei Nervenschmerzen und rheumatischen Beschwerden. Ganz typische Symptomkomplexe, die gut auf die Pflanze ansprechen, sind (Ober)Bauchschmerz mit Kältegefühl, beginnende Infekte mit Nackenschmerzen und Unruhe, Husten und Bronchitis mit hellem Auswurf, körperliches Schweregefühl mit schleimigem Stuhl, allgemeine Müdigkeit und „innere Kälte“ sowie jegliche Rekonvaleszenz.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass Angelikawurzel-Präparate immer dann angezeigt sind, wenn im Körper etwas kalt ist, stockt, festsitzt oder blockiert. Zusätzlich soll das Pulver aus der Wurzel übrigens die Lust auf Alkohol hemmen, was für alkohokranke Personen interessant ist, die abstinent bleiben wollen.

Auf seelischer Ebene ist die Engelwurz eine „Meisterin des Annehmens“. Die Traditionelle Chinesische Meditin (TCM) bedient sich ihrer energetisch öffnenden, ableitenden und bahnbrechenden Kräfte immer dann, wenn etwa Kopf und Bauch nicht kommunizieren wollen oder wenn Blockaden eine Krankheit „festhalten“. Selbst beim Fehlen eindeutig körperlich spürbarer Hemmnisse setzt die Wirkung oft mit einem leichten, aber stets als erleichternd empfundenen Aufstoßen ein.

Von Einreibungen, Bädern, innerlichen Tee-Anwendungen oder der Inhalation des wertvollen >ätherischen Angelikawurzel-Öls profitieren alle, die mit schwachen Nerven und einem belastenden „Gedankenkarussell“ kämpfen. Die begleitende Anwendung in der Burnout-Behandlung ist insofern unbedingt einen Versuch wert. Und auch wer mit seinem Schicksal hadert, wem es an Urvertrauen mangelt oder wem Stress und Sorgen schnell auf den Magen schlagen, hat in der Engelwurz eine starke Verbündete, die z.B. als Urtinktur immer zur Hand sein sollte.

Tipp: Bei allgemeiner Nervosität, die man nicht so recht einzuordnen weiß, die aber „in den Gliedern sitzt“, eignen sich kräftig reibende, höchstens handwarme Waschungen mit Engelwurz-Sud. Benutzen Sie dazu ruhig einen recht rauen Waschlappen! Man sagt der Engelwurz nach, dass sie die Hautoberfläche öffnet, damit überschüssige Energie abfließen und der Mensch wieder zur Ruhe kommen kann.

ACHTUNG: Engelwurz-Produkte dürfen wegen ihrer durchblutungsanregenden Eigenschaften in der Schwangerschaft sowie bei Magen- oder Darmgeschwüren nicht verwendet werden! Nach äußerlicher Anwendung ist außerdem auf guten Sonnenschutz zu achten, weil die Furanocumarine der Pflanze die Haut lichtempfindlich machen.