Giersch: Das tolle Kraut mit dem schlechten Ruf

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Wehe dem, der in einem Gespräch über Gärtnerei den Giersch zur Sprache bringt. Zwangsläufig wird sofort losgeschimpft – über seine raumgreifende Ausbreitung, seine Unausrottbarkeit, die rücksichtslose Verdrängung anderer gewünschter Blumen und Gemüse. Wenn die nur wüssten! Denn der Doldenblütler mag zwar einen Tick zu selbstbewusst auftreten, hat uns aber vor allem (!) eine Menge Gutes zu geben.

Man sieht das z.B. am hinteren Ende seines botanischen Namens Aegopodium podagraria: podagraria ist die Gicht (= Podagra). Der erste Namensteil Aegopodium (griech. aigopódes = ziegenfüßig) beschreibt die Form, die man beim Ausrupfen eines Gierschblattes am unteren Ende des kantigen Stengels erkennt: Hier sieht man mit etwas Fantasie einen Ziegenhuf.
Im Mittelalter war diese sogenannte Signatur für Heilkundige wie Hildegard von Bingen Hinweis genug, um die dreigliedrigen, gefiederten Blätter gegen Gicht und rheumatische Beschwerden einzusetzen. Klassisch war die Zubereitung als Tee oder der Verzehr des frischen Krauts, aber auch mit Umschlägen aus den gequetschten Blättern rückte man erfolgreich schmerzhaft geschwollenen Gelenken zu Leibe. Eine weitere Indikation war und ist beginnende Blasenentzündung. Pfarrer Kneipp übernahm diese Anwendungsarten und empfahl sogar, man möge lieber Giersch statt Grüne Kapsel mit BlattBrot essen, um lange gesund zu bleiben. Aus Sicht der heutigen low-carb-getriebenen Ernährungswissenschaft kann man ihm da nur energisch zustimmen.

Die stark entwässernde Wirkung des „Zipperleinkrauts“ ist vor allem auf das reichlich enthaltene Mineral Kalium zurückzuführen. Gemeinsam mit vielen anderen wertvollen Inhaltsstoffen ergibt sich u.a. der harnsäurelösende Effekt, der Gichtkranken Erleichterung bei ihren quälenden Gelenkschmerzen verschaffen kann. Ein kleiner Auszug der Vitalstoffe, die den Giersch so gesund machen: exzellent verwertbare Aminosäuren, beachtliche Mengen an Vitamin C (sogar mehr als die legendäre Vitamin-C-Spenderin Brennnessel!), Magnesium, Calcium, Zink, Kieselsäure, Mangan, Kupfer, Vitamin A, Saponine, Cumarine und Flavonglykoside. Und all das bei kostenloser, über viele Monat im Jahr reichlicher Verfügbarkeit an beinahe jeder Ecke. Hat hier jemand „Unkraut“ gesagt?

Es wird Sie nicht überraschen, dass an dieser Stelle ein glühendes Plädoyer für die sinnstiftende Verwendung des missverstandenen Wildkrauts folgt. Am besten legen Sie sich sowohl ein gutes Wildkräuter-Bestimmungsbuch zu als auch ein entsprechende Kochbuch. Denn die Möglichkeiten, die ebenso gesundheitsfördernden wie köstlichen Kräfte des Gierschs auf den Teller zu bringen, sind schier unendlich.

Achten Sie auf den Zustand maximaler Zartheit, denn so schmecken die Blätter am besten: erst wenige Zentimeter hoch, gerade hellgrün-glänzend aus der Erde spitzend, idealerweise noch zusammengeklappt – so bringt unser neuer Freund einen Geschmack nach jungen Möhren und frischer Petersilie mit.
Reichern Sie mit den gehackten frischen Blättern Pfannkuchenfüllungen oder Frühlingssuppen an und gesellen Sie am besten noch weitere Wildkräuter hinzu: Vogelmiere, Brennnessel, Spitzwegerich und Knoblauchsrauke sind nur einige ganzjährig verfügbare Geschenke der Natur, die mit Giersch fantastisch harmonieren. Doch auch solo auf einem Butterbrot macht sich Giersch wunderbar, als Zutat im Kräuterquark, als Grundlage für selbstgemachtes Pesto, in grünen Smoothies und selbstverständlich im Salat. Etwas ganz Besonderes ist „Giersch-Limo“: Einige Gierschblätter aromatisieren binnen weniger Stunden einen Krug sprudelnder Apfelschorle. Den Geschmack kennen Sie von einer beliebten österreichischen Kräuterlimonade!
Es ist empfehlenswert, einen Vorrat für den Winter einzufrieren oder als Pesto haltbar zu machen, denn getrocknet verliert der Giersch viele Vitamine und vor allem seinen herrlichen Geschmack. Ältere Blätter sind deutlich bitterer – wer das nicht scheut, tut damit sogar noch seiner Leber wohl.

Beginnt Ihr Giersch-Vorkommen zu „veralten“, setzen Sie einfach Rasenmäher, Schere oder Sense an und meucheln alles einmal nieder. Keine Sorge, es dauert nur wenige Tage, bis der Giersch in neuer frischgrüner Pracht aufs Neue ersprießt. Wer mag, legt vorher noch ein dickes Büschel älterer Blätter zur Seite und trocknet sie für den Winter als harntreibenden Tee. Die zarten, weiß bis hellrosafarbenen Doldenblüten des Gierschs sind eine hübsche essbare Dekoration für Gebäck oder Nachspeisen. Mutige trocknen im Herbst ein paar Samen, mörsern sie und experimentieren damit als Gewürz, z.B. für Omeletts.

Na, hat sich Ihr Bild auf das allgegenwärtge „Unkraut“ ein bisschen gewandelt? Das würde uns freuen, denn aus gesundheitlicher Sicht hat es diese Bezeichnung wirklich nicht verdient.
Sollten Sie jetzt Lust auf Giersch bekommen haben, in Ermangelung eines Gartens jedoch keinen Zugriff darauf, verzagen Sie nicht: Ein Überlebenskünstler wie er gedeiht ganz unkompliziert auch in einem großen Kübel auf dem Balkon.