Meerrettich: Der köstlich-scharfe Keimkiller

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Wer gern Deftiges auf dem Teller hat, kommt am Meerrettich oder – wie Bayern und Österreicher ihn nennen – Kren nicht vorbei. Roastbeef, Tafelspitz und Räucherlachs gewinnen durch die scharfe Beigabe genauso wie Eier in Meerrettichsauce oder Rote-Bete-Suppe. Absolute Geschmackssache ist dabei, ob man zur allgemeingefällig-milden Sahne-Variante greift oder den Kren rustikal frisch auf die Speise raspelt. Köstlich ist das Ergebnis allemal; Meerrettich ist ein erstaunlich anpassungsfähiges … ja was eigentlich? Ein Gewürz oder doch Gemüse? Denn kocht man die immerhin bis zu 60 cm lange und bis zu 6 cm dicke Wurzel mit, bleibt am Ende ein nur minimal schärfliches, an Kohlrabi erinnerndes Gemüse im Topf. Das ist zwar lecker, aber typischer ist doch die Raspel-Variante, bei der das möglichst frische, geschälte und für 30 Minuten kalt gewässerte Wurzelstück im idealen 90-Grad-Winkel auf die Reibe gesetzt wird, um das unter Meerrettich-Erstlingen gefürchtete ratlose Ausfransen zu verhindern. Gegen das dabei unweigerlich auftretende Tränen der Augen hilft leider auch Angeberwissen wie „Wenn beim Reiben die Zellen des Rettichs zerstört werden, reagiert das Enzym Myrosinase mit dem Glycosid Sinigrin, wodurch Senföl entsteht“ nichts.

Bevor Pfeffer und Chili ihren Weg nach Europa fanden, hatte die deutsche Küche zur Schärfung ihrer Gerichte überhaupt nur Meerrettich und Senf gekannt – und exzessiv genutzt. Die Beigabe feuriger Würzzutaten schmeckte nämlich nicht nur gut, sondern machte das oft nicht mehr ganz taufrische Fleisch besser bekömmlich. Da wundert es nicht, dass die Pflanze, die zwar schon in der Antike bekannt war, aber vermutlich erst um das 12. Jahrhundert herum aus dem Osten zu uns kam, bald in fast jedem Gemüse- und Klostergarten wuchs. 1930 erreichte der Anbau in Franken solche Ausmaße, dass die geernteten Mengen weltweit jeden Rekord brachen. Noch heute gibt es im fränkischen Ort Baiersdorf ein Meerrettich-Museum, während das badische Dorf Urloffen auf dem alljährlichen „schärfsten Fest der Region“ ein eigenes Meerrettichlied trällert. Ob der dortige Bürgermeister auch ein Scheibchen der rohen Wurzel im Stadtsäckel verwahrt, damit dieses niemals leer wird, wie die Sage behauptet? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall läuft seit 2010 ein Projekt der EU-Kommission, die speziell den bayerischen Meerrettich zu Vermarktungszwecken unter ihre Fittiche nehmen will – unter dem Begriff „Weltgenusserbe Bayern“. Wohl damit keine bayerisch-österreichischen Verwechslungen stattfinden, steht der Produktname „Steirischer Kren g.g.A.“ bereits als anerkannte Herkunftsbezeichnung im Register der Traditionellen Lebensmittel.

Grüne Kapsel mit BlattDoch wir sind hier in einem Heilpflanzenlexikon, nicht in einem Koch- oder Geschichtsbuch, deshalb nun flink an die Heilkräfte der unscheinbaren*, außen erdbraunen und innen weißen Wurzel. Sie also enthält nicht nur respektable Mengen an Vitamin C und wertvolle Aminosäuren, sondern steckt auch voller Senfölglykoside, die eine wissenschaftlich erwiesene stark antibiotische Wirkung haben. Tatsächlich reagieren sehr viele Keime, gegen die die Schulmedizin innerlich oder äußerlich kurzerhand Antibiotika auffahren würde, ganz hervorragend auf konsequente Behandlung mit Meerrettich. Sogar Pilze und Viren nehmen – vielleicht aus Respekt? – vor den Kräften der winterharten Wurzel Reißaus, die im Boden unbeeindruckt Temperaturen von bis zu –50 °C überlebt. In Süddeutschland nennt man den Kren deshalb auch stolz „bayrisches Penicillin“ und verarbeitet ihn z.B. zu Hustensaft oder wärmenden Einreibungen bei Muskel- oder Kopfschmerzen. Volkstümliche Begriffe wie Pfefferwurzel und Rachenputzer deuten unmissverständlich auf seine Haupteigenschaften hin. Die Arzneimittelindustrie hat das längst erkannt und lässt den heimischen Verwandten des hippen asiatischen Wasabi kleine und große Rollen in diversen Phytotherapeutika spielen, die gegen Infekte der Atem- und Harnwege sowie leichte Magenkrämpfe eingesetzt werden. Im kosmetischen Bereich tritt das bewährte Team Meerrettich/Kapuzinerkresse in Bleichcremes gegen Alters- und Pigmentflecken an.

ACHTUNG: Patienten mit Magen- oder Darmgeschwüren sowie Schilddrüsen-Fehlfunktionen sollten große Mengen Meerrettich meiden und vor der Selbstmedikation mit entsprechenden Fertigarzneimitteln ihren Arzt konsultieren.

Schaufel*Alles andere als unscheinbar ist übrigens das üppige Blattwerk des Meerrettichs. Sollten Sie ihn im Garten ansiedeln wollen, räumen Sie ihm deshalb ein ausreichend großes Revier ein (und stellen Sie sich darauf ein, dass er fortan Dauerbewohner sein wird)! Eine einzige Pflanze kann unter optimalen Bedingungen schon mal zwei Meter hoch werden und mit ihren riesigen, reichlich sprießenden sattgrünen Blättern eine ebenso große Fläche beschatten. Sie wird es Ihnen allerdings kaum übelnehmen, wenn Sie ihn schon vor der Wurzelernte hie und da eines jungen Blattes berauben, welches Sie dann fein geschnitten Gemüseeintöpfen zusetzen, aufs Butterbrot legen oder Salate und Kräuterquark damit würzen. Guten Appetit!