Zwiebel: Sieben Häut’, heilt alle Leut

Zwiebel - Allium cepa

Zwiebel – Allium cepa Foto: pixabay.com

Wenn es ein unterschätztes Gemüse auf dieser Welt gibt, ist es wohl die Zwiebel. In unförmigen Tontöpfen und dunklen Kellern fristen die vielschichtigen Knollen ihr Dasein; kaum noch irgendwo werden sie dekorativ zu einem Zopf geflochten, der dann in jeder Küche griffbereit hängt. Insgesamt umgibt Zwiebeln ein derber, eher unfeiner Ruf … dabei geht ohne sie in den Küchen rund um den Globus gar nichts! Man stelle sich einen Flammkuchen nur mit Schmand und Speck vor. chef-hat-309146_640Zwiebelloses Gulasch. Handkäs’ ohne Musik. Wie absurd! Tatsächlich kann selbst der untalentierteste Koch durch schieres Anbraten einiger Zwiebelwürfelchen das ganze Haus mit verlockendem Duft erfüllen (ob es danach auch schmeckt, hängt freilich von zahlreichen weiteren Faktoren ab). Immerhin acht Kilogramm Zwiebeln verzehrt der Durchschnittsdeutsche pro Jahr. Damit liegen wir eher im unteren Teil der Skala im Ländervergleich – und verpassen dabei einige faszinierende „health facts“. Erst 2015 räumte die Zwiwwel, wie sie in Hessen, oder cipolla, wie sie in Italien heißt, endlich den verdienten Titel „Heilpflanze des Jahres“ ab, und das ging so:

Schon vor 5.000 Jahren waren Zwiebeln im alten China bekannt; sogar ein altbabylonisches, in Tontafeln geritztes Kochbuch erwähnt sie. Die alten Ägypter sahen in den vielen Ringen der Zwiebel gar ein Symbol für die Ewigkeit und schätzten sie entsprechend – unter anderem als billiges und äußerst gesundes Grundnahrungsmittel für die Sklaven, auf deren Arbeitskraft sie beim Bau der Pyramiden angewiesen waren. Aus seiner ursprünglichen Heimat Zentral- und Westasien fand das Lauchgewächs im Gepäck der Römer seinen Weg über die Alpen. Im 8. Jahrhundert fasste es dann, zusammen mit 72 weiteren Heil- und Gemüsepflanzen, per kaiserlicher Landgüterverordnung in unseren Breitengraden Fuß. (Danke, lieber Karl der Große!)

Spätestens seit der berühmte Arzt Paracelsus im 16. Jahrhundert begeistert äußerte, dass Zwiebeln nicht nur gut schmecken, sondern nebenbei eine ganze Apotheke ersetzen können, sind auch ihre mannigfaltigen Heilkräfte offiziell. Im Ersten Weltkrieg etwa nutzte man Zwiebeln in der Not als Antibiotika-Ersatz. Kurz zuvor hatte der französische Wissenschaftler Louis Pasteur herausgefunden, dass einige Zwiebel-Inhaltsstoffe das Wachstum von Krankheitserregern hemmen – für die damalige Zeit eine ebenso bahnbrechende wie lebensrettende Entdeckung.

Grüne Kapsel mit BlattUnd heute? Wer wüsste nicht, dass das beste Erste-Hilfe-Hausmittel bei Bienen- und Wespenstichen frische Zwiebel ist! Auch das aufs Ohr gebundene „Zwiebelsäckchen“, also ein erwärmtes, mit fein gehackten Zwiebeln gefülltes Mulltuch, dürfte mindestens den Eltern von kleinen Ohrenschmerz-Patienten ein Begriff sein. Bei Husten schmeckt (und hilft) Zwiebelsirup erstaunlich gut: Kleingehackte Zwiebel in einem Schraubglas mit 3 EL Honig vermischen, mehrere Stunden stehen lassen und dabei öfter schütteln. Sobald sich alles weitgehend verflüssigt hat, mehrmals täglich 1 TL davon langsam im Mund zergehen lassen. Ob Sie bei Haarausfall dem Rat von Hippokrates (460–370 v.Chr.) folgen möchten, die Kopfhaut täglich mit Zwiebelsaft einzureiben, überlassen wir Ihnen.

Unter den langfristigen zwieblischen Gesundheitswirkungen sind vor allem der antioxidative Schutz für Gefäße und Herz sowie appetitanregende, cholesterinsenkende, blutverdünnende und blutzuckerstabilisierende Effekte der Zwiebel hervorzuheben. Sie beruhen teils auf dem Flavonoid Quercetin (das besonders in der braunen Schale hochkonzentriert enthalten ist, weshalb man diese, gut gesäubert, durchaus in einem Säckchen mitkochen sollte!), teils auf den reichlich vorhandenen Schwefelverbindungen wie z.B. Alliin, das wir schon vom nahen Verwandten Knoblauch kennen.

Angeber merken sich fürs nächste Dinner an dieser Stelle den Namen des Stoffes, der uns beim Zwiebelhacken die Tränen* in die Augen treibt: Propanthial-S-Oxid. Er entsteht, wenn beim Zerschneiden der Knolle ihre Zellen verletzt werden, das Alliin plötzlich mit einem Enzym namens Alliinase zusammentrifft und nach ein paar weiteren Umbauarbeiten mit Sauerstoff zu einem Reizgas reagiert. Dieses Zwei-Komponenten-System hat die Zwiebel einst zur Abwehr von Fressfeinden entwickelt. Ziemlich schlau, wie wir finden!
wusstensieUnser Tipp gegen Zwiebel-Tränen: Verwenden Sie ein extrascharfes Messer, um so wenige Zellen wie möglich zu quetschen, setzen Sie sich zum Schnibbeln hin (die Dämpfe steigen senkrecht auf!) und nehmen Sie einen Schluck Wasser in den Mund.

Und woher kommt es, dass der Genuss von Zwiebeln uns gewissen … nun ja … Rückenwind verleiht? Das liegt an den Energiespeicher-Gewohnheiten aller Lauchgewächse. Anders als andere Pflanzengattungen lagern sie nämlich Energie nicht in Form von Stärke, sondern als Fruktane ein. Diese besonderen Kohlenhydrate kann der menschliche Dünndarm nicht aufspalten, weshalb sie unverändert in den Dickdarm gelangen. Dort warten arbeitswütige Bakterien, die sie fleißig verstoffwechseln – unter munterer Gasbildung. Die so entstandenen Blähungen verdanken ihren unangenehmen Geruch den Abbauprodukten der Fruktane sowie den unverdauten schwefligen Bestandteilen der Zwiebel selbst. Abhilfe schafft der gleichzeitige oder anschließende Verzehr von blähungswidrigen Gewürzen wie >Kümmel, Fenchel und >Zimt … und ein flotter Verdauungsspaziergang an der frischen Luft. 

Fazit: Zwiebeln sollten, in allen Spielarten von rot bis gelb, mild bis scharf, möglichst oft auf den Tisch kommen! Neben köstlichem Geschmack bringen sie nämlich auch jede Menge Gesundheit in unser Leben. Und wer könnte das nicht wollen?

* In der Homöopathie führt genau dieses Symptom nach dem Prinzip „Gleiches mit Gleichem“ zur Verordnung von potenzierter Zwiebel (Allium cepa) bei stark fließendem Schnupfen mit tränenden Augen.