Odermennig: Der bitterschöne Allrounder

Wer zwischen Juni und September an sonnigen Waldrändern oder auf bunten Magerwiesen spazieren geht, könnte einer weit verbreiteten Verwechslung aufsitzen: Allzu ähnlich sind die langen, haarigen, dicht mit hübschen gelben Blüten besetzten Odermennig-Blütenstände mit denen der Königskerze! Nun gut, dem höchstens eineinhalb Meter hoch wachsenden Odermennig fehlt es im Vergleich doch arg an körperlicher Größe. Aber für eine absolut eindeutige Identifizierung muss man sich als Laie schon bücken. Denn während die handgroßen, graubepelzten Blätter der Königskerze als warme Schuh-Einlegesohlen durchgehen würden, sieht man den sattgrünen, gefiederten Blättern des Odermennigs seine Verwandtschaft mit anderen Rosengewächsen (z.B. Mädesüß) deutlich an.

Seinen Lieblingsstandort Wiese trägt das Heilkraut sogar im botanischen Namen: Agrimonia bedeutet auf Latein mehr oder weniger „Feldbewohner“. Den zweiten Namensbestandteil eupatoria führte der römische Gelehrte Plinius auf König Eupator VI. Mithridates von Pontos (1. Jh.v.Chr.) zurück. Jener Herrscher hatte nämlich das sogenannte „Mithridat“ erfunden, ein angeblich vorbeugend wirkendes Universal-Gegengift aus 54 Zutaten. Die Mixtur enthielt – neben dubiosen Dingen wie Vipernfleisch und Krötenblut – hauptsächlich Heilpflanzen … darunter der bereits damals hochangesehene und deshalb der Göttin Pallas Athene geweihte Odermennig.
Der deutsche Pflanzenname hingegen stammt aus altheidnischen Zeiten: Od ist das Heil, Menn der Mensch bzw. Mann und Ing die Nachkommenschaft – das macht den Odermennig zum „Kind des Heilmannes“. Eine große Aufgabe hat man dem Kraut da mitgegeben!

Grüne Kapsel mit BlattWas aber steckt in der Pflanze, und was kann sie den Menschen tatsächlich Gutes tun? Die heute noch aktuellen Indikationen ergeben sich aus den reichlich enthaltenen Gerb- und Bitterstoffen, Flavonoiden und ätherischem Öl. Schon in der Antike setzten Ärzte einen Sud aus den oberirdischen Pflanzenteilen äußerlich bei Wunden, entzündlichen oder juckenden Hautkrankheiten sowie innerlich bei Durchfall, Milzleiden, Gicht und Nierengrieß ein. Der deutsche Botaniker und Arzt Hieronymus Bock (1498-1554) lobt Odermennig in seinem „Kreütter Buch“ außerdem zu Recht als Heilmittel bei schwacher Leber und Gallensteinen:

„Odermeng is das fürnembst Kraut […] zu allen verstopften Leberen.“

Alle diese Anwendungsgebiete unterschreibt die moderne Kräuterheilkunde weiterhin. Vor allem aber macht man sich die adstringierende (zusammenziehende), antibakterielle Wirkung von Odermennig-Tee oder -Tinktur bei Schleimhautentzündungen im Mund-, Hals- und Rachenraum zunutze. Hier ist eine Mischung mit Salbei zu gleichen Teilen sehr zu empfehlen. Und die Bachblüten-Therapie greift immer dann zur Essenz Agrimony, wenn jahrelang aufgebaute „Fassaden“ einen Menschen daran hindern, ein tatsächliches Problem zu erkennen.

Hinweis:
Durch den zusammenziehenden Effekt auf alle Schleimhäute kann es vorkommen, dass gleichzeitig mit Odermennig eingenommende Medikamente vorübergehend schwächer wirken. Bitte berücksichtigen Sie diesen Zusammenhang.