Kartoffel: die verkannte Powerknolle

Kartoffel – Solanum tuberosum

Kaum eine Pflanze ist so missverstanden wie die ursprünglich in den Anden beheimatete Kartoffel. Es begann bereits mit ihrer Einwanderung auf den europäischen Kontinent, im Gepäck spanischer Eroberer Mitte des 16. Jahrhunderts. Ohne die entsprechenden Anweisungen verzehrten viele Menschen nämlich statt der unterirdischen Knollen die appetitlich grünen beerenartigen Früchte – und bezahlten dafür mindestens mit grimmigen Magenschmerzen, maximal mit dem Leben. Heute wissen wir, dass alle oberirdischen Teile der Kartoffelpflanze sowie grüngefärbte Schalenstellen große Mengen des giftigen Alkaloids Solanin enthalten.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts stieg die wenig anspruchsvolle, dafür aber vitaminreiche „Erdtuffel“ oder „Erdbirn“ in vielen Ländern langsam zum Grundnahrungsmittel auf. Wegen ihres hohen Stärkegehalts ist sie nämlich ausgesprochen nahrhaft und lange sättigend. Dass sie sich obendrein als gute Prophylaxe gegen die gefürchtete Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut eignet, entdeckte der britische Marinearzt Dr. James Lind 1753. Und damit nicht genug: Das Vitamin C in Kartoffeln bleibt aufgrund einer enzymatischen Besonderheit sogar beim Kochen erhalten! Man könnte die Kartoffel insofern getrost als „Zitrone des Nordens“ bezeichnen.

Was aber sucht diese in Form von Pommes frites und Chips stets kritisch beäugte Knolle in einem Heilpflanzenlexikon? Ganz einfach: Sie hat rundum das Zeug, uns gesund zu erhalten oder zu machen – ob auf dem Teller, als Magentonikum oder als Brustwickel. Fangen wir beim Essen an.

Als Nahrungsmittel punktet die Kartoffel mit beachtlichen Werten hinsichtlich Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Besonders tun sich dabei das bereits erwähnte Vitamin C hervor, begleitet von herzwichtigem Kalium, nervenstärkenden B-Vitaminen (v.a. B6), Magnesium, Phosphor, Eisen, Zink, Chrom und Vitamin K. Bei all dem hat die Kartoffel, solange man sie nicht gerade in schwimmendem Fett ausbackt wie im Fast-food-Fall, gerade mal 70 Kalorien pro 100 g. „ABER DIE KOHLENHYDRATE!“, rufen jetzt entsetzt die Verfechter von Low-Carb-Diäten – zu Unrecht. Kartoffelstärke wird nämlich vom Körper mittels Enzymen so hochwirksam in Glukose umgewandelt, dass die Bauchspeicheldrüse, anders als unter Weißmehl- oder Zuckerbombardement, nicht in Stress gerät. Wer täglich in der Schale gekochte Kartoffeln verzehrt, profitiert deshalb von einem stabilen Blutzuckerspiegel, der Heißhungerattacken im Keim erstickt. Ja, Sie haben schon richtig gelesen: Ausgerechnet Kartoffeln können Ihre engsten Verbündeten im Kampf gegen überflüssige Pfunde sein.

Grüne Kapsel mit BlattNatürlich war das aber nicht alles, denn ein Heilpflanzenlexikon ist schließlich weder ein Geschichts- noch ein Kochbuch. Wenden wir uns also der Kartoffel als Brandlöscherin par excellence zu – um genau zu sein bei Sodbrennen und leichten Magenschleimhautentzündungen. Hier neutralisiert der basische Saft roher Kartoffeln überschüssige Magensäure wie kaum ein anderes Mittel. Man kann Kartoffelsaft selbst herstellen, indem man rohe, großzügig geschälte Kartoffeln fein raspelt und dann in einem Küchentuch ausdrückt. Der Saft muss sofort getrunken werden, da er extrem schnell oxidiert, dabei bitter wird und obendrein wertvolle Inhaltsstoffe verliert. Zweimal täglich 50 ml über einen Zeitraum von drei Wochen sollten es sein – an den mehligen Geschmack gewöhnt man sich schnell. Wer möchte, kann einen Teelöffel eines guten Pflanzenöls zugeben, etwa Weizenkeim- oder Olivenöl. Diese Mixtur wird dann vier Wochen lang kurmäßig morgens auf nüchternen Magen getrunken – mit der erfreulichen „Nebenwirkung“, dass erhöhte Cholesterin- und Blutzuckerspiegel sinken können. Wer den Aufwand scheut, greift auf im Kühlschrank besser haltbaren Kartoffel-Frischpflanzensaft aus der Apotheke zurück.
Bei allgemeinen Magenproblemen ist selbstgestampftes Kartoffelpüree, aus frisch gedämpften Kartoffeln ohne Milch nur mit einem Schuss Öl oder einem Stückchen Butter zubereitet, meist besser verträglich als andere Speisen. Wer möchte, mischt 1:1 mit gekochten Möhren.

Erkältungsbeschwerden rücken Sie ebenfalls mit der tollen Knolle zu Leibe. So sind etwa Inhalationen mit frisch abgeschälten Kartoffelschalen ein Geheimtipp zur Schleimlösung und Hustenberuhigung.
Verstärken Sie den Effekt bei bellendem Husten und Bronchialkatarrh noch mit einem Kartoffel-Brustwickel! Dazu werden 3 bis 4 große Kartoffeln mitsamt Schale weichgekocht und heiß in einem Geschirrhandtuch oder einer Mullwindel dicht nebeneinandergelegt, wie ein Päckchen eingeschlagen. Drücken Sie dieses anschließend platt, bis eine zwei Hände große Fläche von etwa 1 cm Höhe entsteht. Das Paket legen Sie so heiß, wie Sie es gerade noch aushalten, auf die entblößte Brust und decken es sofort mit einem weiteren Tuch sowie einem Wollschal ab. Dann hinlegen, zudecken und mindestens eine halbe Stunde ruhen. Sobald das Paket unangenehm abkühlt, abnehmen und entsorgen.
Warum das so gut hilft? Kartoffeln speichern feuchte Wärme besonders gut und die Haut nimmt ihre antientzündlichen Wirkstoffe gierig auf. Der Stoffwechsel wird lokal angeregt, Giftstoffe abtransportiert und Muskeln gelockert – etwa bei Kopfschmerzen, die ihre Ursache in Nackenverspannungen haben. Versuchen Sie warme Kartoffelwickel auch bei Gelenkschmerzen und Sehnenscheidenentzündungen.

Kartoffeln machen also schlank, gesund … und, jawohl, obendrein noch schön! Wer z.B. vom täglichen Gläschen Kartoffelsaft ein paar Tropfen zurückbehält, tut gut daran, das Gesicht damit zu betupfen. Nach dem Antrocknen kurz mit klarem Wasser abwaschen – der Teint wird zart und feinporig. Extrem raue Hände und Füße profitieren auf ähnliche Weise. Die Kosmetik weiß um diese Wirkung der Kartoffel und hat den Saft deshalb in einer sehr guten Handcreme verarbeitet.

*Unser deutsches Wort „Kartoffel“* kommt übrigens vom italienischen tartufolo – dem Trüffel. Dieser wiederum hat seinen Namen vom lateinischen Begriff terrae tuber, was wortwörtlich „Knollen der Erde“ bedeutet. Und der deutsche Kartoffelbegriff hat es sogar bis ins Russische und Polnische geschafft! Deshalb bestellen Sie dort, wenn Sie Lust auf Kartoffeln haben, exakt das: „Kartoffeln“. Ganz ohne Wörterbuch. :-)

Es gäbe noch so viel mehr Interessantes und Wissenswertes über die Kartoffel zu berichten. Informationen, die vielleicht nicht direkt in ein Heilpflanzenlexikon gehören, aber interessant für all jene sind, die nun vielleicht Lust bekommen haben, noch mehr über die Kartoffel zu erfahren. Ihnen sei zum Beispiel diese „Kulturgeschichte der Kartoffel“ zur Lektüre empfohlen.