Wegwarte: Die vergängliche Blütenschöne mit der Zuckersenker-Wurzel

Wegwarte – Cichorium intybus

Von Juli bis Herbstanfang leuchtet uns an vielen trockenen Wegrändern und aus manchem Acker ein ungewöhnliches, sonst in der Natur kaum vorkommendes Himmelblau entgegen: Die Wegwarten blühen. Von Nahem betrachtet, verblüfft der Kontrast zwischen ihrem kantig-sparrigen, bis zu eineinhalb Meter hohen Stengel und den unendlich zarten, margeritengroßen Blüten. Sie heben ihr Gesicht stets der Sonne entgegen, blühen nur einen Tag lang und schließen sich bei Regen oder Dämmerung sofort. Wer diese Schönheit in einen Blumenstrauß bannen möchte, wird jedoch Pech haben – nach dem Pflücken kann man den blauen Sternen buchstäblich beim Verwelken zusehen.

Deutlich robuster ist die tief reichende, spindelartige Pfahlwurzel der Korbblüterin. Und sie ist es auch, in der ihre enorme Heilkraft steckt. Neben Bitter- und Gerbstoffen, Sesquiterpenlactonen und Cumarinen enthält sie bis zu 60 %  Inulin, einen unlöslichen Ballaststoff, den die Pflanze als Reservekohlenhydrat einlagert. Er fördert nicht nur das Wachstum gesunder Darmbakterien, sondern macht die Wegwartenwurzel vor allem zu einem wertvollen Phytotherapeutikum bei schwacher Bauchspeicheldrüse und angegriffener Milz. Der Tee ist somit nicht nur ein unterstützender Begleiter bei milzschwächenden Erkrankungen wie Pfeifferschem Grüne Kapsel mit BlattDrüsenfieber (EBV-Infektion), sondern kann – regelmäßig genossen – sogar den Blutzuckerspiegel senken. Gut belegt ist die appetitanregende, verdauungsfördernde und antientzündliche Wirkung aller Pflanzenteile; neuere Forschungen zu entspannenden und stressreduzierenden Effekten sind vielversprechend. Dieses breite Wirkungsspektrum brachte der Wegwarte 2020 den Titel „Heilpflanze des Jahres“ ein.

Die Ärzte des Altertums verschrieben das Wurzel- und Blattgemüse als stärkende Speise für Magenkranke. Mit dem Saft des blühenden „Sonnendrahts“ rückte man Geschwüren, Haarausfall, unreinem Blut, Verschleimung und Kopfschmerzen zu Leibe, den Saft der eisenhaltigen Blüten träufelte man auf müde Augen. Als Zauberpflanze sollte die Wegwarte Ehemänner treu, Kämpfer unverwundbar und die Geburt leicht machen. Grundsätzlich schrieb man dabei den seltenen weiß blühenden Exemplaren die größte Kraft zu. Noch heute sagt man Wegwarten die Fähigkeit nach, beim Loslassen starrer Ansichten zu helfen. In der Bachblütentherapie ist Chicory die Essenz für Menschen, die aus falsch verstandener Fürsorge heraus andere in ihrer Entwicklung hemmen und übertrieben kritisieren.

Achtung:

Bei insulinpflichtigem Diabetes darf eine Eigenbehandlung, auch nicht mit noch so milden Heilpflanzen, niemals in Eigenregie geschehen! Besprechen Sie sich vorab unbedingt mit Ihrer behandelnden Diabetiologin oder Ihrem Hausarzt. Sogenannter Prädiabetes, also eine im Blutbild messbare Neigung zu lebensstilbedingtem Typ-2-Diabetes, kann jedoch mit angepasster Ernährung, einem regelmäßigen Bewegungsprogramm und der Unterstützung von Wegwarte, Zimt, Artischocke & Co. oft in seine Schranken gewiesen werden.

Und dazu müssen Sie nicht einmal unbedingt mit dem Spaten losziehen, um im Herbst die fleischige Wurzel auszugraben. Denn wenn Sie den „Zweitnamen“ der Wegwarte, Zichorie, hören, erinnert das doch sehr an ein beliebtes Gemüse, nicht wahr? Genau: Chicorée – auch Salatzichorie genannt – ist eine Kulturform der Pflanze. Für seine Erzeugung wird im Herbst das Erdreich (im Gewächshaus; draußen ist es zu kalt!) oberhalb der Wurzel lichtdicht abgedeckt, so dass die über den Winter austreibende, dicke Knospe bis zur Ernte bleich und zart bleibt. Sie ist deutlich weniger bitter als die Wurzel oder das entfaltete, bei normaler Sonnenbestrahlung austreibende Blattgrün. Einen Selbstversuch ist es wert, auch wenn Sie dabei keine so großen Chicoréeköpfe erwarten dürfen wie beim Gemüsehändler, der auf eine ertragreichere Unterart zurückgreift. Ansonsten genießen Sie im Frühjahr die löwenzahnähnlichen jungen Rosetten- und Stengelblätter wilder Wegwarten als Salat oder Gemüse. Wen der bittere Geschmack stört, legt sie vor der Zubereitung einfach zwei Stunden lang in Wasser ein. Später bereichern die hübschen Blüten Salate, Butterbrote oder Kräuterquark sowohl optisch als auch gesundheitlich.

Radiccio, Zuckerhut und Endiviensalat sind ebenfalls nahe Verwandte der Wegwarte und genau wie sie für Diabetiker in höchstem Maße zu empfehlen. Auch sie enthalten – hauptsächlich im Strunk, verwerten Sie diesen also unbedingt mit! – relevante Mengen Inulin. Außerdem regen sie durch ihre Bitterstoffe Leber und Galle an, was bei der Verdauung von Fett und Kohlenhydraten sowie bei hohem Cholesterinspiegel hilfreich ist.

Interessant:

Der Begriff „Zichorie“ kommt Ihnen irgendwoher bekannt vor? Na klar, vom Zichorienkaffee! Für diesen koffeinfreien, einst aus der Not heraus entwickelten Kaffee-Ersatz („Muckefuck“) werden die getrockneten Wegwartenwurzeln in der Pfanne geröstet und dann genau wie Kaffeebohnen gemahlen und aufgebrüht. Das gleiche Vorgehen gibt es auch für Löwenzahnwurzeln, die ebenfalls ein wohlschmeckendes und zudem gesundes Kaffeesurrogat ergeben. Viele im Handel erhältliche Instant-Getreidekaffees enthalten noch heute einen Anteil Zichorienwurzel. Als Gesundheitsgetränk taugen diese jedoch leider nicht, weil sich das Inulin beim Rösten größtenteils in die kaffeeähnlich schmeckende, jedoch nicht antidiabetische Verbindung Oxymethylfurfurol umwandelt. Wenn Sie trotzdem mal den ganz ursprünglichen „Muckefuck“ probieren wollen, ernten Sie im Spätherbst entweder selbst einige Wegwartenwurzeln oder kaufen Sie in der Apotheke getrocknete Wurzelstückchen, die sich ebenso zum Rösten eignen.