Mistel: Alles andere als Mist für Herz und Kreislauf

Viscum album – Mistel

Viscum album – Mistel Foto: Sidroga Gesellschaft für Gesundheitsprodukte mbH, Arzbacher Str. 78, 56130 Bad Ems

Erst im Winter, wenn die Bäume ihr eigenes Laub abgeworfen haben, sehen wir zahlreiche immergrüne, kugelige Gebilde mit kleinen weißen Scheinbeeren: Misteln. Vielleicht haben Sie schon davon gehört, dass es sich dabei um sogenannte Epiphyten, also halbschmarotzend lebende Pflanzen handelt, die zwar selbst Photosynthese betreiben, Wasser und Nährstoffe aber – nicht sehr nett – von ihrem Wirtsbaum beziehen. Die Sache mit der Vermehrung übertragen Misteln ganz unverblümt an Vögel, vor allem Misteldrosseln, die große Fans der süßen Beeren sind. Beim Fressen bleibt der in eine äußerst klebrige Substanz gehüllte Samen oft am Schnabel der Tiere hängen, wird am nächsten Baum entnervt abgewetzt und haftet dort bis zur Auskeimung felsenfest. (Von dieser Eigenschaft stammt übrigens der lateinische Gattungsname ab – viscum ist der lateinische Begriff für „Leim“, den die Römer auch wirklich aus Mistelbeeren gewannen, um damit ausgerechnet Vögel zu fangen. Perfide!) Schafft der Vogel es hingegen, die Beere im Ganzen zu vertilgen, scheidet er den unverdaulichen Samen mit seinem Kot auf dem nächsten Sitzast wieder aus. Dort klebt der Samen dann, bestens gedüngt vom Vogelmist (daher Mistel!), und treibt im Frühjahr aus. Bereits der zarte Keim bohrt seine Wurzeln mit erstaunlicher Kraft in die Baumrinde, zapft dort Wasser- und Nährstoffbahnen an und wächst im Laufe mehrerer Jahre zu einer stattlichen, vogelnestartig aussehenden Pflanze heran. Jeden Winter trägt diese dann neue Beeren, die wiederum von Vögeln … Sie wissen schon.

Asterix-Lesern ist bekannt, dass Misteln eine uralte Tradition in der Heilmagie haben. Mit goldenen Sicheln von Druidenhand geerntet, durften sie jedoch keinesfalls den Boden berühren und wurden zu mannigfaltigen Zauber- und Heiltränken verarbeitet. Schon der antike Naturforscher Plinius berichtet von mistelhaltigen Elixieren gegen Vergiftungen und Unfruchtbarkeit, die in magischen Ritualen verabreicht wurden. Im christlichen Glauben geht die Sage, dass Christi Kreuz aus Mistelbaumholz gefertigt war. Vor lauter Scham soll der Baum eingetrocknet und als Pflanze wieder auferstanden sein, die allen Gutes bringt, die unter ihr hindurchschreiten. Sie kennen vermutlich den Brauch, über der Haustür Misteln gegen böse Einflüsse aufzuhängen … und natürlich den typischen Kuss unterm Mistelzweig, der die Ehe zweier Liebender glücklich machen soll. Im Jugendstil tauchen Misteln als Symbol der Liebe ganz häufig auf – achten Sie mal darauf!

Derart informiert, wundern uns nun natürlich die volkstümlichen Namen der magischen Baumbewohnerin nicht mehr: Hexen- oder Donnerbesen, Druidenfuß, Hexennest, Wintergrün, Vogelkraut, Heiligkreuzholz, Vogelleimholz, Wintersamen und viele weitere.

Genug der Hintergründe; wenden wir uns dem medizinischen Nutzen der Mistel zu. Als Mittel gegen Fallsucht und Milzbeschwerden empfahl sie Hippokrates um 400 v.Chr., während Hildegard von Bingen sie gegen Leber- und Geschwulsterkrankungen zu Rate zog. In den folgenden Jahrhunderten schrieb man dem Kraut außerdem Heilkräfte bei Schwindel, Migräne, Ruhr, Gicht, Unfruchtbarkeit und vielen anderen Beschwerden zu.

Grüne Kapsel mit BlattGanz von der Hand zu weisen sind diese Wirkungen nicht, enthält Mistelkraut doch hohe Dosen sogenannter Lektine und Viscotoxine. Die einen regen bei innerlicher Einnahme nachweislich das Immunsystem an, die anderen lösen, lokal angewandt, gezielte Entzündungsreize aus.
Heute setzen naturheilkundlich orientierte Ärzte und Heilpraktiker Mistelpräparate deshalb erfolgreich vor allem gegen Bluthochdruck und Rheuma ein. Bei Rheuma und Arthritis wird der Mistelextrakt mehrmals unter die Haut in der Umgebung des erkrankten Gelenks injiziert, woraufhin sich das Gewebe für lange Zeit stark durchwärmt. Auf diese Weise bessern sich Steifigkeit und Schmerzen. Moderater Bluthochdruck (Hypertonie) reagiert auf Mistelpräparate ebenso positiv wie zu niedriger Blutdruck (Hypotonie) – das klingt zunächst paradox, ist aber dadurch zu erklären, dass die Wirkung über eine Regulierung des Kreislaufs und Stärkung des Herzens erfolgt. Auch Kopfschmerzen, Schwindel sowie Wechseljahres- und Regelbeschwerden kann die Mistel lindern. Bei Heuschnupfen ist es einen Versuch wert, kalt angesetzten Mistelsud durch die Nase aufzuschnupfen. Äußerlich hilft derselbe Sud gegen Ekzeme und Unterschenkelgeschwüre.   

Die größte Bekanntheit hat Mistel jedoch sicher im Bereich unterstützende Krebsbehandlung. Die Ursprünge davon gehen auf Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie, zurück. Er zog die Parallele, dass eine Pflanze, die ihren Wirt „aushungert“, dasselbe auch bei Tumoren tun kann. Zwar sind entsprechende Wirkungen bisher erst bei Brustkrebs-Patientinnen wissenschaftlich untermauert, doch hat die Misteltherapie aufgrund zahlreicher guter Erfahrungen mittlerweile einen festen Platz in der Behandlung von Krebs.