Fenchel: Babys bestes Bauchgefühl … und mehr

Neben Muttermilch ist der Geschmack von Fenchel oft der erste, dem ein Baby außerhalb des Mutterleibs in Gestalt eines Teefläschchens begegnet. Das liegt nicht nur am von Natur aus süßen, heimelig-weichen Geschmack des Tees, sondern auch an seiner Fähigkeit, schmerzhafte Koliken und Bauchschmerzen zu lindern. Wird das Baby ausschließlich gestillt oder verweigert den zusätzlichen Fencheltee, funktioniert er sogar „second hand“, also wenn die stillende Mutter ihn trinkt. Und das sollte sie in jedem Fall tun, denn ganz nebenbei regt Fenchel auch noch die Milchbildung an!

Doch nicht nur kleine, sondern auch große Menschen profitieren von den vielfältigen Kräften des Fenchels, der schon in der Antike von Ärzten und Gelehrten wie Hippokrates, Theophrast und Dioskurides gegen zahlreiche Leiden empfohlen wurde. Im antiken Griechenland trugen die Schauspieler bei religiösen Mysterienspielen einen Kranz aus Fenchelgrün um den Hals – vielleicht weil laut Sage der Titan Prometheus das von den Göttern gestohlene Himmelsfeuer in einem hohlen Fenchelstengel auf die Erde gebracht hatte. Das Zepter des Dionysos, der Thyrsosstab, sei ebenfalls aus einem Fenchelstengel gefertigt gewesen. Ein regelrechtes Fenchel-Anbaugebiet scheint damals der Ort Marathon gewesen zu sein, (griech. marathon = Fenchel!), von wo aus im Jahr 409 v.Chr. der legendäre Läufer ohne Pause ins 42 km entfernte Athen startete, um die Nachricht vom Sieg über die Perser zu überbringen. Kein Wunder, dass fortan abergläubische Krieger und Gladiatoren vor dem Kampf Fenchel aßen und sich damit einrieben – in der Hoffnung, bei siegreichem Ausgang mit duftenden Fenchelblättern gekrönt zu werden.

Im Mittelalter war von der Verehrung dieser „göttlichen“ und siegbringenden  Pflanze immerhin noch so viel übrig, dass man damit Schlüssellöcher verstopfte, um sich vor dem Eindringen böser Mächte zu schützen.

Dass Fenchel einmal die Heilpflanze des Jahres 2009 werden würde, konnten all die Damen und Herren der früheren Geschichte freilich nicht wissen – ebensowenig wie der Benediktinermönch, Botaniker und Dichter Walahfrid Strabo um 810 n.Chr. Er beschrieb den Fenchel in seinem berühmten botanischen Lehrgedicht „Hortulus“ wie folgt:

Nützen soll er den Augen, wenn Schatten sie trügend befallen, und sein Same mit Milch einer Mutterziege getrunken, lockre, so sagt man, die Blähung des Magens und fördere lösend alsbald den zaudernden Gang der lange verstopften Verdauung. Ferner vertreibt die Wurzel des Fenchels, vermischt mit dem Weine […] und so genossen, den keuchenden Husten.

Grüne Kapsel mit BlattHier kommen nun endlich auch die Heilkräfte des Fenchels zur Sprache, die noch heute Gültigkeit haben. Die allgemein krampflösende Wirkung des Fenchelsamens macht ihn nämlich zum idealen Kandidaten bei jeglichem Unwohlsein im Magen, bei Blähungen und Völlegefühl sowie krampfartigen Regelbeschwerden. Nicht ohne Grund sind die aromatischen Samen fester Bestandteil beinahe aller Magen-Darm-Tees und und Magen-Tonika! Als Brotgewürz geben sie – typischerweise zusammen mit Kümmel, Koriander, Anis und Kardamom – einen leckeren Geschmack und dämmen gleichzeitig die blähenden Eigenschaften des Hefeteigs ein. In Italien wird eine Salami-Spezialität mit Fenchelsamen gewürzt.

Eine Etage höher im Körper lösen Fencheltee und Fenchelhonig festsitzenden Husten, und ganz oben, an geröteten und entzündeten Augen, tut kühles Fenchelwasser lindernde Dienste. (Diese tatsächlich sehr empfehlenswerte Anwendungsempfehlung  geht auf den Naturforscher Plinius den Älteren zurück. Er hatte beobachtet, dass Schlangen direkt nach der Häutung gezielt Fenchel aßen, und ging davon aus, dass sie damit ihre Sehkraft stärkten.)

Verantwortlich für die gleichzeitig sanften und starken Wirkungen des Fenchels ist übrigens sein beachtlicher Gehalt an ätherischen Ölen, Flavonoiden, Proteinen und Cumarin. Besonders konzentriert sind diese Stoffe in den Früchten, also den Samen des Fenchels. Diese reifen nur heran, wenn im ersten Lebensjahr der Pflanze die verdickte Knolle nicht geerntet wird. Wer einen Garten hat, sollte dem duftenden Tausendsassa deshalb ruhig ein Plätzchen einrichten; die bis zu zwei Meter hoch werdende Pflanze ist nicht nur sehr dekorativ, sondern während der Blütezeit von Juni bis Oktober eine fantastische Bienenweide. Danach liefert sie entweder (s.o.) eine schmackhafte Gemüseknolle oder heilkräftige Samen, aus denen auch die Nachfolgegeneration heranwächst.

A propos Italien: Die Italiener, dieses genusserprobte Völkchen, bereiten ihren Finocchio in so köstlichen Variationen als Gemüse zu, dass sich die deutsche Küche davon gern ein Scheibchen abschneiden könnte! Denn das Gemüse enthält extrem wenige Kalorien, fast überhaupt kein Fett und stattdessen Ballaststoffe, Vitamin C, Kalium, Calcium und Beta-Carotin in nennenswerten Mengen. Außerdem, so das mediterrane Koch-Credo, verfeinert Fenchel (als Knolle oder Samen) jedes Gericht und verschleiert schlechten Geschmack. Leider machten sich das früher auch gewissenlose Weinhändler zunutze, indem sie vor der Verkostung ihrer gepanschten Tropfen frischen Fenchel servierten. Hierher stammt die italienische Redewendung „lasciarsi infinocchiare, die frei übersetzt in etwa „sich einfencheln lassen“ bedeutet. ;-)

In Indien und Pakistan wird man Ihnen Fenchelsamen hingegen am ehesten zu jeder Tages- und Nachtzeit als Bestandteil von Mukhwas reichen – einer mit buntem Zucker umhüllten Mischung von Gewürzsamen zur Erfrischung des Mundes.