Sonnentau: Der Fliege Feind, des Husten Freund

Sonnentau – Drosera

In mageren Moorgebieten oder auf feuchten Felsstürzen der nördlichen Erdkugel gedeiht eine Pflanze, deren Name für derart asketische Lebensumstände eigentlich zu poetisch klingt. Der Sonnentau, um den es hier geht, hat jedoch aus der Not eine Tugend gemacht. „Hm“, dachte er sich wohl irgendwann während der Evolution, „nicht gerade optimal, wo ich hier wachse. Keine Nährstoffe weit und breit! Ich kann also entweder aussterben oder mir etwas Neues ausdenken.“ Was er daraufhin entwickelte, funktioniert einwandfrei: bewegliche, wie Tentakel gestaltete Drüsen auf den Blättern, die an ihrem Ende ein klebriges Sekret absondern. Sobald ein vorbeifliegendes Insekt diese Tropfen entdeckt, setzt es gierig zur Landung an – und ist verloren. Denn die Tentakel halten das festgeklebte Insekt gemeinschaftlich fest, bis es vor Erschöpfung verendet oder am zähen Sekret erstickt. Gleichzeitig werden verschiedene Enzyme abgesondert, mithilfe derer die Pflanze das Opfer nach und nach „verdaut“. Von den so gelösten Nährstoffen kann der Sonnentau auch auf unwirtlichsten Böden leben … eine ganz besondere Form von Carnivorismus. :-) Genial übrigens auch der Schachzug, sich nicht gleich alle Insekten zu vergraulen. Irgendwer muss ja auch noch zum Bestäuben kommen, nicht wahr? Deshalb sitzen die Blüten des Sonnentaus auf langen Stängeln in ausreichend großem Sicherheitsabstand zu den Klebefallen. Leider konnten all diese Anpassungsstrategien nicht verhindern, dass der klebrige Fleischfresser heute so selten geworden ist, dass er unter Naturschutz gestellt werden musste.

Als die Pflanze im späten Mittelalter zu Heilzwecken entdeckt wurde, nannte man sie noch Ros solis (lat. Tau der Sonne). Erst später folgte die botanische Umbenennung in Drosera (griech. drósos = Tau). Und tatsächlich funkeln die Sekrettröpfchen im Sonnenlicht wie Tau, weshalb die volkstümlichen Bezeichnungen von Himmels- oder Wettertau über Jungferntröpfle bis hin zu Perlknöpf und Marienträne reichen. Andere Namen wie Brunst- oder Bullenkraut deuten auf die zeitweise Verwendung als Aphrodisiakum für Mensch und Tier hin, und wieder andere wie Edler Widerton können wir uns gar nicht erklären.

Grüne Kapsel mit BlattUnd jetzt zur medizinischen Wirkung:

Natürlich kämen wir heute nicht mehr wie damals die Alchimisten auf die Idee, aus abgesammeltem Sonnentausekret „Materia prima“ destillieren zu wollen, also jenen Urstoff, aus dem man dann nach Belieben Gold gewinnen, sowie alle anderen Dinge formen kann – dafür haben wir ja inzwischen Stammzellen entdeckt. Auch würden wir die Pflanze nicht mehr auf Hühneraugen legen, gegen Epilepsie, Sommersprossen und als Giftindikator einsetzen oder als Amulett für erfolgreiche Jagd und eine leichte Geburt tragen. Einig sind sich Mediziner aller Epochen allerdings darin, dass Extrakte aus dem Sonnentau ein hervorragendes Mittel gegen krampfartigen Husten bis hin zu Keuchhusten sind; auch lästiger Reizhusten spricht darauf gut an.

Verantwortlich für die antibakterielle sowie die schleim- und krampflösende Wirkung sind neben den sogenannten Naphtochinonen verschiedene Flavonoide, ätherische Öle und eiweißabbauende Enzyme. Pflanzliche Schleimstoffe (keine Sorge, diese setzen sich nicht in die Bronchien, sondern bleiben „oben“) stillen den Hustenreiz zusätzlich.

Weil die relevanten Wirkstoffe als Tee nicht zuverlässig dosiert werden können, verwenden die Arzneimittelhersteller Sonnentau in ihren Hustensirup-, Hustentropfen- und Hustentabletten-Rezepturen vorrangig als Frischpflanzensaft oder Flüssigextrakt. Meist kommen noch weitere unterstützende Heilpflanzen wie Thymian, Anis oder Eibisch dazu. Die Homöopathie verarbeitet die Pflanze pur zu Drosera-Globuli oder Drosera-Urtinktur.

Nur die Biomedizin hat heute noch Verwendung für das reine Klebe-Sekret. Durch seine Eigenschaft als natürliches Hydrogel ist es nämlich biokompatibel und eignet sich deshalb optimal zum Zusammenfügen und Heranzüchten neuer Gewebe!

ACHTUNG: Bei der Einnahme von sonnentauhaltigen Präparaten kann sich der Urin vorübergehend grünlichbraun verfärben. Das hängt mit dem erhöhten Eiweißzerfall im Körper zusammen und ist unbedenklich.