Anis: Der Aroma-Held mit dem medizinischen Extra

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An was denken Sie zuerst, wenn jemand „Griechenland“ sagt? Die weiß gekalkten Häuschen mit ihren blauen Türen, Sirtaki-Kreistänze, Gyros und Souvlaki? Oder kommt Ihnen doch Ouzo in den Sinn – jener streng schmeckende Anisschnaps, den man im Restaurant (pardon, in der Taverna) unvermeidlich nach dem Essen serviert bekommt und der seinen Zustand durch Zugabe eines Tröpfchens Wasser von glasklar zu milchig-trüb wechselt? Ouzo liebt oder hasst man, es gibt kaum etwas dazwischen. Dasselbe gilt für die meisten anishaltigen Speisen und Getränke; bei uns sind das zumeist Weihnachtsgebäcke und der norddeutsche Schnaps „Küstennebel“.

Ursprünglich kam Anis aus dem östlichen Mittelmeerraum und Asien, wo er heute nicht nur eine Hauptrolle in vielen Likören, Süßigkeiten und Gebäcken spielt, sondern auch mit größter Selbstverständlichkeit z.B. Fischgerichte, Gemüse oder Saucen würzt. In den Niederlanden streut man sich zuckerumhüllte oder mit Zucker zerstampfte Anissamen aufs Butterbrot oder den Zwieback.

Nur namentlich verwandt ist er übrigens mit dem weihnachtlichen Sternanis, der nicht von einem Doldenblütler stammt, sondern von einem magnolienartigen Baum aus Asien. Genau wie beim Fenchel wird dessen ätherisches Öl von Anethol dominiert, was die Ähnlichkeit der süßlich-würzigen Düfte erklärt. Auch die medizinischen Wirkungen der drei Pflanzen ähneln sich auffallend.

ACHTUNG:

Botanisch gehört die bis zu hüfthoch krautig wachsende Anispflanze zu den Doldenblütlern. Wie viele andere, teils hochgiftige (!) Vertreter dieser Familie hat sie zahllose strahlenförmig angeordnete weiße Blüten und zart gefiederte Blätter. Vom Wildsammeln ist Laien also unbedingt abzuraten: Die Verwechslungsgefahr ist enorm und der Verzehr von Doppelgängern wie Kälberkropf, Schierling oder Hundspetersilie kann im schlimmsten Fall tödlich enden!

Schon im Altertum war Anis als Gewürz beinahe weltweit bekannt. Römer, Griechen und Chinesen gaben ihn Wein, Kuchen und Fleisch bei. Im Mittelalter waren süße Aniskringel ein beliebtes Geschenk an Hochzeitsgäste – vermutlich weil man den Samen aphrodisierende Kräfte zuschrieb. In der Medizin gab es kaum etwas, das man nicht mit Anis zu heilen suchte: Von Bauchgrimmen bis Wassersucht, von Mundgeruch bis Ohrenschmerzen, von Asthma bis zu Skorpionbissen reichten seine Einsatzgebiete. Da Tauben das Aroma zu schätzen schienen, betupfte man außerdem die Innenwände neuer Taubenschläge mit Anisöl, um die Tiere schneller einzugewöhnen. Taubenfutter enthält manchmal noch immer Anissamen. Zwar fragwürdig, aber doch interessant war die Verwendung als Schwangerschaftstest: Juckt es einer Frau nach abendlicher Einnahme von Anissamenpulver um den Nabel herum, sei mit Kindersegen zu rechnen – so behaupten zumindest die Hippokratischen Schriften.

Grüne Kapsel mit BlattDie medizinischen Wirkungen der kümmelartig aussehenden Anissamen klingen im Fachjargon so: expektorierend, karminativ, spasmolytisch, antibakteriell und antiviral. Besser verständlich: Zubereitungen aus Anis – je nach Indikation etwa Tee, Tinktur, Einreibungen oder Inhalationen mit dem ätherischen Öl – sind hilfreich bei Verschleimung und Katarrhen der Atemwege (darunter Nebenhöhlenentzündungen), lindern Blähungen, beruhigen Krämpfe im Magen-/Darmbereich und unterstützen die Genesung bei bakteriellen oder viralen Infekten. Bei Mandelentzündung und Mundgeruch empfiehlt sich mehrfach tägliches Gurgeln mit einigen Tropfen ätherischem Anisöl in Wasser. Dieses kann auch etwas Oliven- oder anderem Küchenöl zugegeben (10 Tropfen ätherisches auf 25 ml fettes Öl) und als wohltuende Brust-Einreibung bei Bronchitis verwendet werden.

Am bekanntesten dürfte Anis jedoch im Trio mit seinen echten Verwandten Fenchel und Kümmel sein: Anis-Fenchel-Kümmel-Tee ist ein zuverlässiges und nebenwirkungsfreies Mittel gegen Neugeborenen-Koliken, regt zusätzlich die Milchbildung an und fehlt deshalb weder in Entbindungsstationen noch in Haushalten mit Baby. Dabei ist es nicht einmal nötig, den Tee direkt zu verabreichen: Weil seine blähungswidrige Wirkung auch in die Muttermilch übergeht, reicht es oft, wenn die Mutter ihn sich regelmäßig zu Gemüte führt.

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Zuständig für all diese heilenden Talente ist hauptsächlich das reichlich vorhandene ätherische Öl. Weil es höchst flüchtig ist, speichert die Pflanze es gut geschützt in speziellen Sekreträumen im Inneren der behaarten Frucht. Bevorzugen Sie deshalb für Tee idealerweise ganze Anissamen, die Sie erst direkt vor dem Überbrühen mit einem Mörser oder Löffelrücken anquetschen. Ein gestrichener Teelöffel der Samen, mit kochendem Wasser übergossen und nach 10–15 Minuten abgeseiht, reicht für eine große Tasse Tee. Wer gegen Doldenblütler allergisch ist, sollte erst vorsichtig austesten, ob das ätherische Öl oder ein Tee aus den Samen vertragen werden.

SchaufelGARTEN-TIPP:

Wer Anis zwischen Mai und Juni als Beipflanzung zwischen andere Nutzpflanzen sät, kann im Herbst nicht nur eigene Samen für Tee und Küche ernten, sondern profitiert auch von seiner ungezieferfeindlichen Wirkung: Sowohl Blattläuse als auch die gefräßigen Raupen des Kohlweißlings scheuen den Duft der Pflanze und bleiben fern!