Augentrost: Wortwörtlicher geht’s nicht

Wenn es eine Heilpflanze gibt, deren Auftrag man sowohl an ihrem Namen als auch an ihrem Aussehen spontan erkennen kann, dann ja wohl den Augentrost. Hat man das Glück, die nur maximal 30 cm große Blume auf ungedüngten Naturwiesen oder mageren Ufern zu finden, muss man sich von Juli bis September nur die zarte Blüte ansehen, die ganz eindeutig an ein wimpernklimperndes Äuglein erinnert. Auf der vorgeschobenen „Unterlippe“ tragen die weißen bis hellvioletten Blütenblätter einen gelben Fleck sowie oben und unten dünne, aber markante dunkle Streifen – Wimpern eben!

Und so ist es der Signaturenlehre zu verdanken, dass man das unscheinbare Pflänzchen und seine Zubereitungen ab dem 14. Jahrhundert gegen allerlei Augenleiden einsetzte und je nach Land auf vielsprechende Namen wie Eyebright (Augenglanz), Luminella (Augenlicht) oder Casse-lunette (Brillenbrecher) taufte. So begeistert war der berühmte Arzt Nicholas Culpeper von den einschlägigen Erfahrungen, dass er einst scherzte, der Augentrost werde irgendwann alle Brillenmacher arbeitslos machen! Arnoldus Villanovanus widmete dem Blümchen um 1300 sogar sein Buch „Vini euphrasiati tantopere celebrati“, während man es – das Blümchen, nicht das Buch – im dunklen Mittelalter parallel zu den medizinischen Zwecken verräucherte, um Hellsichtigkeit zu erlangen.

Weniger schmeichelhaft sind die Namen Wiesenwolf oder Milchdieb. Sie spielen darauf an, dass der Augentrost als Halbschmarotzer den Wurzeln seiner Wiesennachbarn Nährstoffe abzapft, wodurch das Heu schlechter gedeiht – mit Auswirkungen auf das damit gefütterte Milchvieh.

Grundsätzlich bedeutet der botanische Name jedenfalls Euphrasia, was vom griechischen euphrosyne stammt und „Freude/Frohsinn“ bedeutet … etwas, das sicher die meisten Patienten empfinden dürften, die z.B. von schmerzhaften, langwierigen Bindehautentzündungen oder entstellenden Gerstenkörnern geheilt wurden.

Grüne Kapsel mit BlattEinem beeindruckenden Gehalt an Iridoidglykosiden und ätherischen Ölen verdankt der Augentrost seine mächtige antibakterielle, antivirale und pilzwidrige Wirkung. Gerbstoffe und Flavonoide haben adstringierende (gewebezusammenziehende) Eigenschaften und entziehen Krankheitserregern so kurzerhand die notwendige Fläche. Während diese Inhaltsstoffe den Augentrost vor allem für Augentropfen, -spülung und –kompressen bei Bindehaut- oder Lidrandentzündung, Gerstenkorn sowie brennenden Augen prädestinieren, ist ein Tee oder eine Tinktur aus dem Kraut auch wegen seines hohen Bitterstoffanteils ein Geheimtipp bei Magenkrämpfen und Verdauungsbeschwerden. Der Tee kann außerdem bei Halsschmerzen und beginnender Erkältung getrunken oder gegurgelt werden.

Das auf den ersten Blick so unscheinbare Blümchen hat also einiges zu bieten. Schade eigentlich, dass man es laut eines alten Aberglaubens nicht zu Hause bevorraten sollte, weil die Pflanze angeblich den Blitzschlag anzieht!

Unser Tipp: Holen Sie sich Euphrasia Augentropfen oder –Globuli bei auftretenden Augenbeschwerden einfach „frisch“ in Ihrer Apotheke. Oder haben Sie sie zwar im Schrank, schützen sich aber gleichzeitig durch einen an der Hausecke gepflanzten Holunderbaum! Dieser hat nämlich laut Sage genau den gegenteiligen „Anti-Blitz-Effekt“. ;-)