Hauswurz: Die genügsame „heimische Aloe Vera“

Jeder kennt die dicht an dicht wachsenden, spitz zulaufenden Rosetten der dickblättrigen Hauswurz. Sie sind eine typische Bepflanzung für Mülltonnen- und Gartenhausdächer, Steingärten, Mauerritzen und flache Pflanzschalen. Wild kommt sie im Gebirge vor, wo sie sich zwischen Felsen ansiedelt und von dort aus ausbreitet. Diese Lebensräume haben alle eines gemeinsam: Es gibt kaum Erde zum Wurzeln, oft ist es lange sehr trocken und die Sonneneinstrahlung kann unerbittlich sein. All diesen unwirtlichen Voraussetzungen zum Trotz bildet die Hauswurz ganzjährig pralle, satte Blätter mit einem gelartigen feuchten Kern und übersteht selbst harte Winter dauergrün – sie ist, wie ihr Name schon sagt, quasi sempervivum (= lat. unsterblich). Nach ein paar Jahren erhebt sich im Sommer

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aus der Rosettenmitte ein langer schuppiger Stengel, an dessen Ende interessant aussehende Blüten sitzen. Sie allein bringen das tapfere Pflänzchen ans Ende seiner Kraft: Mit der Blüte stirbt meist auch die Rosette ab. Da sich inzwischen über Ausläufer zahlreiche Tochterpflanzen gebildet haben, schließt sich solche eine Lücke im Hauswurz-Polster jedoch schnell wieder.

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Der zweite Teil der verschiedenen botanischen Hauswurz-Namen ist jeweils aussagekräftig bezüglich Aussehen und Standort: glaucum heißt blaugrau, tectorum bezieht sich auf tectum = Dach und muralis auf murus = Mauer. Die deutschen Volksnamen Donnerkraut, Jupiter- oder Donnerbart, Dachwurz und Wetterwurz verraten hingegen viel über den mit der Pflanze verbundenen Aberglauben. Besonders die ländliche Bevölkerung war über viele Jahrhunderte überzeugt davon, dass in Dächer, die mit Hauswurz bepflanzt sind, kein Blitz einschlagen wird. So groß war das Vertrauen in diese Schutzkraft, dass Karl der Große 812 n.Chr. in seiner Landgüterverordnung De capitulare villis eine entsprechende Dachbegrünung vorschrieb mit den Worten: „Und der Landmann soll auf seinem Hausdach den Donnerbart haben“! Verrückterweise scheinen Blitzeinschläge in entsprechend bepflanzte Häuser tatsächlich seltener zu sein. Eine befriedigende wissenschaftliche Erklärung für diese Beobachtung steht noch aus; eventuell liegt es an den vielen nach oben weisenden Blattspitzen, die elektrische Spannungen zerstreuen.

Warum aber haben wir die Hauswurz in der Überschrift „die heimische Aloe Vera“ genannt? Weil sie annähernd gleich verwendbar ist. Denn die dicke Gelschicht im Blattinneren, von der Pflanze eigentlich als Wasserspeicher für Trockenzeiten gedacht, weist herausragende Hautpflege- und Heileigenschaften auf. Dafür verantwortlich sind große Mengen an Gerb-, Bitter- und Schleimstoffen, Apfel- und Ameisensäure, fettes Öl sowie Harze, die bei Entzündungen & Co. zuverlässig adstringieren und besänftigen.

Benutzt wird der frische Presssaft aus den Blättern. Man gewinnt ihn sehr einfach z.B. in einer gut ausgespülten Knoblauchpresse – oder bei größerem Bedarf in der Spätzlepresse (das feine Sieb einlegen). Notfalls kann man die Blätter auch einfach mit einem Löffelrücken auf glatten Oberflächen oder zwischen den Fingern kräftig quetschen; hier ist die Ausbeute geringer, dafür aber spontaner, z.B. wenn man im Garten von einem Insekt gestochen wurde.

Für den Vorrat müsste man ganze Hauswurzblätter trocknen, was wegen des hohen Wassergehalts lang dauert und nicht immer funktioniert. Kein Problem: Da die Pflanze sogar im Winter grünt, ist sie ganzjährig frisch verfügbar.

Grüne Kapsel mit BlattKlassische Anwendungsgebiete von Hauswurz-Blattsaft sind Verbrennungen (auch Sonnenbrand), Insektenstiche, Gürtelose-Bläschen, Lippenherpes, Warzen, Hühneraugen, Geschwüre, Schürfwunden und allgemein trockene, rissige Haut. Man tupft den Saft einfach wiederholt auf oder tränkt kleine Stoffläppchen für Auflagen damit. Bei Entzündungen im Mund kann auch einfach ein frisches Blatt gut ausgekaut werden. Die Volksheilkunde kennt eine gute Hauswurz-Heilsalbe für Mensch und Tier aus erhitztem Schweineschmalz, in das der Saft eingerührt wird oder in dem die Blätter ausgekocht werden.
Innerlich kühlt ein kalter Teeaufguss bei Fieber angenehm. Man gibt dafür 2 angeschnittene Blätter in ein Glas kaltes Wasser und lässt dies 30 Minuten ziehen. Mit diesem Wasser gurgelt und spült man auch bei Entzündungen von Zahnfleisch, Mundschleimhaut oder Rachen. Früher wurden damit Durchfälle sowie Gebärmutterleiden behandelt und Spulwürmer ausgetrieben.

Sie sehen: Mit der Hauswurz holt man sich nicht nur eine ausgesprochen dekorative und anspruchslose Garten- und Kübelpflanze ins Leben, sondern auch noch eine kleine Apotheke!