Schlüsselblume: Schluss mit hustig

Schlüsselblume

Schlüsselblume – Primula veris
Foto: Bionorica

Um die Osterzeit tauchen bei uns unter lichten Gebüschen, auf feuchten Wiesen und an Waldrändern hübsch hellgelb blühende Frühlingsboten in einer gekräuselten Blattrosette auf: Schlüsselblumen. Und die haben mächtig was auf dem Kasten! Neben der Kirche sollen sie, jedenfalls ihrem Volksnamen nach, nichts Geringeres als den Himmel aufschließen. Petrus fiel einmal – er war wohl etwas tatterig – der Himmelsschlüssel auf die Erde hinunter, wo am Aufprallort sogleich die schlüsselbundförmig angeordneten Blüten wuchsen. Während man jene im Christentum also als nützliches Ding fürs jenseitige Leben ansah, verehrte die nordische Mythologie sie aus recht irdischen Gründen: Mit der von der Schlüsseljungfrau gesegneten Blume, so erzählt die Sage, könne man verborgene Schätze aufspüren. Da klingt es auch logisch, dass ganze Scharen von Elfen, Undinen, Najaden und Nixen zu ihrem Schutz abbestellt wurden.
Ein Dorn im Auge dürfte der Kirche der Glaube gewesen sein, dass der gelbe Scharniggl, vor Sonnenaufgang gepflückt und in der Walpurgisnacht ans Vieh verfüttert, dieses vor Krankheiten schützt. Heiratswillige Mädchen wiederum hielten in der Woche vor Ostern krampfhaft Ausschau nach den ersten Blüten. Diejenige nämlich, so heißt es, die in der Karwoche eine voll erblühte Schlüsselblume fände, würde noch im selben Jahr Hochzeit feiern. Hätten sie gewusst, dass die Blütezeit in Österreich und der Schweiz beinahe zwei Monate früher beginnt, wären sie wohl in Scharen dorthin gepilgert.

Zerpflücken wir nur noch kurz den botanischen Namen der „Blume des Jahres 2016“, bevor wir uns ihren Heilwirkungen zuwenden. Da sie zu den ersten Frühlingsblühern gehört, taufte man sie nämlich im Mittelalter, nomen est omen, Primula (lat. prima = die Erste). Zunächst musste sie sich diesen passenden Namen mit zahlreichen anderen Early Adoptern wie z.B. Gänseblümchen teilen. Erst im 15. Jahrhundert warf man die anderen aus der Gruppe und die Schlüsselblume wurde zu Primula veris – also der „einzig wahren (= vera) Ersten“.

Grüne Kapsel mit BlattUnd erste Wahl ist sie tatsächlich, was die Behandlung von Atemwegserkrankungen angeht: Kaum eine andere Pflanzendroge hat so starke sekretolytische und expektorierende, also schleimlösende und auswurffördernde Wirkung wie die Primelwurzel. Inzwischen wissen wir, dass dieser Effekt von den reichlich enthaltenenen Triterpensaponinen herrührt, die die Magenschleimhaut etwas reizen. So kommt ein reflektorischer Nervenmechanismus in Gang, der die Bronchialschleimhaut zur Verdünnung des dort gestauten Sekrets anregt. Klar, dass es sich dann leichter abhusten lässt. Zusätzlich machen Flavonoide und ätherische Öle in der Wurzel Krankheitserregern den Garaus und stärken die Widerstandskraft. Für Magenempfindliche und Kinder eignen sich übrigens eher Zubereitungen mit den Blüten der Schlüsselblumen; sie sind weniger bitter und die Dosis an Saponinen ist geringer. Viele hochwirksame Phytotherapeutika zur Behandlung von Husten, Nasennebenhöhlenentzündungen und Katarrhen der oberen Luftwege kombinieren Extrakte aus Primula veris oder Primula elatior mit Thymian und anderen Heilkräutern. Eines davon kennen Sie vermutlich mindestens dem Namen nach. Wir verraten Ihnen gerne noch mehr!

Bei Migräne und Melancholie lohnt sich ebenfalls ein Versuch mit einem Tee oder einer Tinktur aus der „Apothekerprimel“ – jedenfalls wenn man Hildegard von Bingen folgt. Pfarrer Kneipp empfahl die Schlüsselblume für Blutreinigungskuren sowie gegen Gicht und Rheuma. Ein weiterer großer Fan war der deutsche Arzt J. Becker, der 1662 in seinem „medizinischen Parnass“ alle Heilkräfte der freundlichen Frühlingsbotin in ein Gedicht packte (über dessen künstlerischen Wert man sicher streiten kann – aber immerhin war er stets bemüht):

Die Schlüsselblume wärmt, sie trocknet und erweicht
stillt Schmerzen, in dem Schlag sie bald ein Mittel reicht.
Vertreibt die lauffend Gicht, zu böser Tiere Biß
hält man die Schlüsselblume für köstlich und gewiß.

(Interessant ist, dass antike römische uind griechische Schriften, sonst stets Vorreiter der medizinischen Fachliteratur, die Schlüsselblume weitgehend ignorieren. Der Grund dafür dürfte jedoch schlicht in der Geografie liegen: In Griechenland wuchs die Pflanze gar nicht und in Italien nur vereinzelt ganz im Norden. Worüber also forschen und schreiben?)

WICHTIG: Schlüsselblumen stehen unter Naturschutz, das Sammeln in freier Natur ist also streng verboten! Speziell das Ausgraben der Wurzeln würde deshalb den Bestand radikal dezimieren – auch wenn es Ihnen noch so verlockend erscheint, daraus wie früher Niespulver herzustellen. :-) Sogar im eigenen Garten sollte man von der „Ernte“ eher absehen, weil die Blüten der Schlüsselblume die einzige Nahrungsquelle für die Raupe des gefährdeten Schlüsselblumen-Würfelfalters sind. Lassen Sie also bitte mindestens einige Blüten immer ungepflückt.